Mittwoch, 8. Juni 2011

Phänomenologie der Empörung

Harter Titel, wa? Wer nicht weiß, was Phänomenologie bedeutet, ist trotzdem wilkommen. Ganz knapp gesagt, geht sie davon aus, dass sich unsere Welt für uns entfaltet: subjektiv, mit unseren begrenzten menschlichen Sinnen erfahren und dass wir uns dieses bei absoluten Aussagen über die Welt immer bewusst machen müssen. Ich will in diesem Posting auf diesen eigenen Zugang zur Empörung an sich hinaus... denn sie ist wohl leider kein Naturgesetz...

Hand aufs Herz: Worüber könntet ihr Euch in diesem Moment aufregen? Ist die Empörung ein Lebenselexir, ohne das ihr den Tag nicht überstehen würdet? Sucht Ihr in den täglichen Nachrichten, die Euch beschallen, betexten, befilmen nach Weltschmerz, den ihr nicht akzeptieren könnt? Und inwiefern geht es in diesen Momenten wirklich um die Sache und nicht darum, eine Rolle spielen zu können in eurem sozialen Umfeld, Euch in den Mittelpunkt einer Ungerechtigkeit zu stellen und die Blicke auf Euch zu ziehen? Geht es nicht z.B. auf Twitter auch darum, sich zum Träger einer drängenden Headline in 140 Zeichen zu machen?

Ich glaube, unsere persönlichen Lebensphasen - oh Gott, wie ich diese selfullfilling prophecy "Lebensphase" eigentlich hasse - spielen eine gewisse Rolle, inwiefern Empörung Teil unseres emotionalen Haushalts ist. Es gibt einfach gewisse Momente im Leben, in denen wir nach Anlässen suchen, uns auf einen Nachrichtenticker aufzuspielen, der Verkünder von drängenden Wahrheiten zu sein (Wir Deutschen kennen dies haltungs- und stiltypisch in der Epoche des 'Sturm und Drang' des 19. Jahrhunderts). Es ist in diesen wenigen eher jugendlichen Momenten auch nicht die Anklage allein, sondern das Sendungsbewusstsein und der Wunsch, seine Mitmenschen mitzureißen bei der Gestaltung der Umwälzungen der eigenen Zeit, die uns bewegen. In den vielen anderen Momenten (der Großteil) geht es jedoch nur um soziale Operationen, die sich nach ein bisschen erhaltener Aufmerksamkeit gerne mit dem Status quo zufrieden gibt. Das ist die Crux jeder Empörung: Sie juckt uns eigentlich nicht. Sie juckt uns nur solange, wie uns etwas im Sozialleben juckt und wir das Aufspiel brauchen. Mal etwas zugespitzt: würden sich alle Frauen auf der Welt ein Jahr ihren Männern verweigern (oder umgekehrt): wir würden alle Probleme dieser Welt lösen. (es gibt dort antike griechische Vorbilder!)

Meine These ist also: Ohne das etwas narzistische Drängen ist Empörung leider nicht existenz. Dies klingt erst mal absurd: Wer will schon gerne eingestehen, dass aller menschlicher Fortschritt von unserer Egozentrik abhängt. Mir geht es hier jedoch um die Energie, die Empörung in unserer Welt (neben Bedrohung der eigenen Menschenrechte und Existenz) am Leben erhält. Ich habe dieses Buch "Empört Euch" von dem Hessel nicht gelesen: brauche ich auch nicht. Ich kann selber denken. Wir müssen uns einfach klar machen, was der Unterschied zwischen einer normativen Forderung und einer Feststellung eines Naturgesetzes ist (in der Politikwissenschaft die Debatte um Idealismus vs. Realismus). Sich zu empören ist keine Automatik und wird auch nicht einfach so auftauchen in Europa (trotz der spanischen, französisch und italienischen Revolutionen, die wohl gerade angeblich stattfinden): das ist der feuchte Traum eines Marxisten, der Marx nie gelesen und verstanden hat. Die Empörung ist - wie Hessels Buchtitel auch vermuten lässt - etwas, das man sich vornehmen muss. Die Empörung als Vorhaben an sich und ihr Inhalt sind normativ im Sinne des Sollzustands. Sie ist ein Vorhaben besonders für diejenigen, die sich in Lebensphasen befinden, wo man seinen Platz an der Seite eines Partners und in einer sozialen Umgebung bereits gefunden hat...

Die Empörung ist in unserer Gesellschaft eigentlich sehr unwirklich. Die Empörung ist unserer Gesellschaft gehässig, denn sie erfüllt damit genügend ihren sozialen Aspekt, Hierarchien auszuspielen. Sie will nicht mehr für eine Philosophie streiten. Die Empörung ist in unserer Gesellschaft außerdem unglaublich ungeübt: Wenn man sich mal überlegt, dass in früheren Gesellschaften die Rednerausbildung im Zentrum des Erwachsenenwerdens stand. Ihr seid einfach alle Anfänger! Tut mir leid. Einem Großteil der Bevölkerung fehlt der Zugang zur sinnvollen Empörung... sie dient bei ihnen nur zur Akquise von Sexpartnern in Soap- und Talkshow-Manier.

Zum Schluss noch etwas sehr Unangenehmes: Warum geilen wir uns wohl an den Empörungen in anderen Ländern wie Ägypten, Tunesien, Jemen, Syrien, Lybien usw. auf? Nicht weil ihre Empörung idealistisch ist, da sie für eine Partei in einer politischen Auseinandersetzung streiten. Sondern weil wir die wilde Purheit herbeisehnen, vom Tod bedroht zu sein. Es entschuldigt unsere Nicht-Empörung hierzulande. Wir reiten auf dem Leid dieser Welt in der Manege unseres sozialen Umfeldes im Kreis und wollen eigentlich nirgendwo hin.

Zeit: Über die Zeit habe ich mich in diesem Blog schon genug aufgeregt.
Zustand: Über meinen trunkenen Zustand rege ich mich selten auf: bin ich selber dran schuld.
Anlass: Meine Hoffnung, dass ihr Euch nicht drauf verlasst, dass ich mich empöre.

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