"Ihr wollt noch bezahlt sein, ihr Tugendhaften!
Wollt Lohn für Tugend
und Himmel für Erden
und Ewiges für euer Heute haben?
Und nun zürnt ihr mir, dass ich lehre, es giebt keinen Lohn- und Zahlmeister? Und wahrlich, ich lehre nicht einmal, dass Tugend ihr eigener Lohn ist.
Ach, das ist meine Trauer: in den Grund der Dinge hat man Lohn und Strafe hineingelogen - und nun auch noch in den Grund eurer Seelen, ihr Tugendhaften!"
Wie wichtig das Transzendente für eine Logik des Guten in einer bürgerlichen Gesellschaft ist, hat schon dieser Autor des 19. Jahrhunderts gewusst. Hoffnung auf eine Instanz, die das Tugendhafte entlohnt und das Beliebige und Prinzipienlose letzlich sanktioniert.
Dass es diese transzendente Instanz (Gott) nicht gibt, ist ein Gedankenspiel - genause wie es ein Gedankenspiel war, dass es sie gibt -, das die Frage nach völliger Freiheit stellt und damit letztlich das Virtuelle beschreibt, was manche ab und zu "Postmoderne" nennen. Welche Ordnung entsteht, wenn sich das Tugendhafte, der Mensch als bemühter, als Werte reproduzierender und damit auch als Werte schaffender nicht mehr lohnt?
Ich sehe das gar nicht mal so philosophisch abstrakt: Was, wenn Menschen, die solches noch tun, davon nicht leben können? Solange Wirtschafts- und Bildungselite fast identisch waren (siehe 19. Jahrhundert) und Verlage dem Rest der intelektuellen Outputter ein Einkommen sichern konnten, war das kein Problem. Die Geschenkkultur des Internets wird jedoch auf Dauer das bürgerliche Streben nach Tugend und Qualität Ent-lohnen - so mein hiesiges Gedankenspiel.
Wir haben jetzt schon die absurde Situation, dass hauptsächlich Ingenieure (Informatiker und Internetzbastler) die Diskussion unserer Moderne führen. Menschen also, die gar nicht davon leben, diese Welt normativ zu ordnen bzw. zu inspirieren (und es auch nicht gelernt haben). Für sie ist Kultur nichts anderes als Crowdsourcing. Sie sehen kulturellen Fortschritt als Funktionserweiterung mit völliger, individueller Freiheit. Qualität ist umsonst, und man muss Gutes Denken nicht fördern, geschweige denn, in es investieren. Es ist relativ logisch, dass sich ein Gehirn kein besseres Gehirn vorstellen kann oder es nicht will ('Gehirn' ist natürlich Quatsch.. will hier nur etwas verdeutlichen..)
Beispielhaft für das Refinanzierungs-Problems des guten Denkens und des hier 'bürgerlich-transzendent' belabelten Denken des Guten/ Tugendhaften ist die Krise der Zeitungen und Verlage. Die Auflagen gehen stetig zurück. Der Ort, wo gute, aktuelle Gedanken, das Einordnen dieser Welt, das Wortefinden (eines meine Lieblingworte in letzter Zeit, da es die Leistung so schön auf den Punkt bringt) noch gegen Geld getauscht wurden, verschwinden.
Die diesbezügliche Arroganz der Technik-Philosophen ist keine avantgardistische, so wie sie es selber gerne hätten, sich übermütig als Bohème beschreibend. Sie ist die Zynik einer IT-Crowd, die sich auf einmal Sneakers und Kaffeehausbesuche mit Laptop leisten kann und glaubt, die Weisheit käme dann von selbst. Sie sind die hässlichste Form des Bürgertums: Ihre Philosophie ist schwach, denn sie denkt nur an sich.
Gerade die Techniker im Maschinenraum der Medien-Innovationen als eine neue, zeitgenössische Bewegung des Anti-Intellektuellen? Ja! Ihr seid klar transzendent-bürgerlich, wenn ihr irgendwo eine Entlohnung für den user-generated content vermutet, die kein Geld ist. Die zynische Hoffnung aufs Paradies, wenn man nur genug Gutes tut.
Die Akteure der 'Digitalen Bohème' als Paradebeispiele bürgerlicher Ich-bezogener Arroganz? Natürlich! Ihr seid wahrscheinlich das Bürgerlichste, das jemals den Anspruch angemeldet hat, Avantgarde zu sein. Jedoch habt Ihr Euch des Modernitätsdiskurses bemächtigt, ohne dieser Welt etwas Normatives/ Tugendhaftes zu bieten... außer Euren Narzissmus.
Auch wenn das Problem ein generelles ist, wie Nietzsche uns oben ja beschrieben hat, fördert der Misachtungsdiskurs gegenüber gebildeteren Menschen, deren Beiträge eine Gesellschaft braucht, um diese Welt zu denken und damit auch normativ fassbar zu machen, nicht das Gute. Und das macht Euch, liebe Medien-Ingenieure, nicht zu Rädchen, sondern eben zu Ingenieuren im System der Entwertung kritisch-geschulten Denkens. Ich glaube grundsätzlich nicht, dass sich Entwicklungen aufhalten lassen; ich weiß aber, wer sie verächtlich beschleunigt.
Ich habe kein Problem mit dem Neuen. Ich bin ein Fan von Innovationen! Ich habe nur ein Problem damit, das Denken mit dem Bauen von Strukturen abzuschließen - aber das kann ein Ingenieur halt nicht verstehen. Die Geisteskultur eines Landes ist keine additive, wie uns Speichermedien nahelegen: Sie ist eine performative.
Diese performative Kultur braucht Akteure, die davon leben können. Verschwörungstheoretiker und BILD-Redakteure reichen da nicht aus und der Ingenieur begreift oft nur die Qualität von Strukturen.
Bitte reicht diese Worte nicht weiter, außer diese Person zahlt dafür, dass ich Worte für sie gefunden habe ;)
Wer die Zuspitzungen dieses Textes und seine unfairen Verallgemeinerungen nicht ertragen konnte und schon den Kommentar mit Beschwerden bestücken wollte, darf vorher nochmal einen Blick auf das Konzept dieses Blogs werfen.. (oben unter dem Titel)
Zeit: schon zu spät.
Zustand: 'auf' von gestern.
Anlass: Habe "Also sprach Zarathustra" als Scheißlektüre im Bad liegen
DISKURS: Kant zu Moral, Natur und Freiheit
vor 4 Tagen
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Vielleicht hilft es ja dem ein oder anderen kritischen Leser in der Auseinandersetzung 'back to their own track' zu kommen. Man beachte hierbei, dass der Kontrollverlust Teil des hiesiegen Konzepts ist. Wir geben uns also zwangsläufig viel Mühe, Kommentare zu provozieren: so hat möglicherweise jeder was von den Drogen! Welcome!