Freitag, 11. Februar 2011

99 Francs und das Problem der Tiefe

Nach geglücktem Jubiläum nun mal ein Einlassung zum Berufsleben. Komme gerade von einem Social Media Event meiner Wahl und bin dadurch trotz Bier nüchterner als dieses Blog wohl erlaubt. Aber keine Angst: Es wird hier zu Polemik kommen. Sinnvolle Polemik natürlich.. 99 Francs ist dieser Blogbeitrag jedoch nicht wert. Vielleicht gerade mal 66 Francs (soviel vorweg)

Social Media - für alle Unbedarften - meint hier Unternehmenskommunikation in Sozialen Netzwerken. Ein vermeintlich kreativer Bereich in dem Unternehmen sich auf ein mal als Gesprächspartner ernst nehmen müssen. Das mit dem Ernstnehmen hat ein Unternehmen natürlich gelernt. Allein die Einführungs-Zeremonie des Vorstellungsgesprächs inszeniert jeden zukünftigen Mitarbeiter als jemanden, der sich unwidersprüchlich hinter das Unternehmen stellt, als eine "Ein-Person" wirkt und im Sinne der Firma kontrollierbar ist.

Social Media in Unternehmen bedeutet nun, dass diese Menschen auch nach außen das Unternehmen z.B auf Facebook vertreten müssen. Und sie sind - außer in Form von PRlern - relativ überfragt, was man den Menschen von seinem Unternehmen da draußen erzählen soll. Man spürt, dass man mit dieser verteilten Verantwortung, wenn Mitarbeiter den Konzerns in sog. 'Social Objects' (Postings, Texte, Service, Bilder Videos, Gewinnspiele) übersetzen müssen, keinen neuen Ernst, keine Professionalität finden kann. Ein Großunternehmen mit seinem Wirtschaften war nie darauf ausgelegt, eine Philosophie zu haben.

Das Philosophie-Defizit ist in dem Social Media Business allerorten zu spüren. Sie kochen alle nur mit Wasser und so stürzt man sich in eine Networking-Kultur und spielt letztlich Klüngel-Wirtschaft, wenn ein Ahnungsloser anderen Ahnungslosen den Social Media Etat überlässt. Das Wohlfühlen ist dabei paradoxerweise Bedingung, denn Aufträge bekommt man nur, wenn man niemanden auf die Füße tritt. Und so passt sich so manche sog. Kreativagentur den Unternehmensentscheider in PR-Abteilungen an: eine Pest!

Dieses 'Wohlfühlen' steht für die Unternehmenskultur, für die Philosophie, die man Usern im Social Web als Gesprächspartner anbieten kann. Sie wird zu dem Stil, den man im Netz letztlich pflegt. Die Produktionskosten für Kommunikation haben sich so sehr gesenkt und ermöglichen kleinteiligere Kommunikation, die niemals (allein vom Abspracheaufwand), zentral kontrolliert werden kann. Ich prognostiziere somit, dass das Social Web einen Vorteil gerade für kleine Unternehmen hat, in denen das Unternehmen noch mit Familie und sozialem Umfeld verbunden ist. Hier ist ein autenthisches gemeinsames Denken zu erwarten und eine Öffnung nach außen z.B. im Social Web viel sinnvoller.

Konzerne sind keine Unternehmerpersönlichkeiten mehr. Was wollen sie uns von der Welt erzählen außer, dass es neue Produkte gibt, wie man sie benutzt und die jämmerliche Hoffnung auf Hype? Die Agenturen liefern kurze Coups und wissen doch, dass sich erst die Unternehmen einer Philosophie klar werden müssen, damit Social Media dauerhaft funktionieren könnte. Es braucht tatsächlich Philosophie-Manager.

Das Buch "99 Franc" (Deutsch "39,90") habe ich nur zu einem Drittel und auch noch auf Französisch gelesen. In dem Buch eines Austeigers aus der Werbebranche kotzt sich der Autor über soziale Abgründe seiner Arbeitswelt aus. Unsere Kommunikationsbranche ist in ihrer oben beschriebenen professionellen Unprofessionalität leider nur 33 Francs wert - und den veralteten Franc gibt es nicht mehr.

Ich hoffe in Zukunft auf die Einsicht in den Stil unprofessionelle Professionalität der vielen alltäglichen, realen Netzwerknutzer und Subjekte da draußen. Die Tiefe ist eine Persönlichkeit und kein Produkt, liebe Produktverkäufer. Die Tiefe wäre die Gefahr einer eigenen rauen Geschichte. PR-Saubermänner und -Frauen können dies bisher noch nicht.

Zeit: 5 nach 12
Zustand: betrunken
Anlass: flache Inspiration

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