Heute Nacht noch etwas zu 'Methodik' zu schreiben, scheint mir keine allzu gute Idee.. aber was soll's. Es muss raus und würde ich nun schlafen gehen, wäre all der Suff verschenkt (und dies ist meine Methode ;)) Was gerade bei all den Doktor-Skandalen unserer Polit-Promis bzw. Möchtegern-Promis auffällt: Es gibt keine Diskussion über Inhalte oder Methodik. Ist das nicht symptomatisch?
Ob Guttenberg, Koch-Mehrin, die Stoiber-Tochter, Katzanirgendwas: Ihre Arbeiten werden als reine Bits und Bytes Informationssammlung behandelt, die gescannt und nach Ähnlichkeiten und Plagiaten durchsucht wird. Müssen wir uns darauf einstellen, dass Wissenschaft in Zukunft nur noch in dieser Kategorie einer digitalen Kopie, eines potenziell geklauten Code bewertet wird? Sind ihre Inhalte und Vorgehensweisen so bedeutungslos geworden, dass uns ein Informatiker oder sein Programm den Wert einer Doktorarbeit bestimmen kann? Dies wäre tatsächlich ein "Digital Turn" in der Wissenschaftsgeschichte.
Die Logik der informatischen Regelhüter ("Du sollst korrekt zitieren") stülpt sich über den Sinn und die Leistung einer Doktorarbeit, die im Schnitt in Deutschland immerhin noch 5 Jahre braucht. Natürlich will auch ich die Großen als unehrliche Betrüger fallen sehen, aber ich bewerte keine Algorithmen und Codes als hässlich, da jemand in seinen Klassennamen die Groß- und Kleinschreibung der deutschen Sprache nicht beachtet. Aussage wahr/ falsch ist zumindest ein skurriler Zugang zu einer mehrjährigen geisteswissenschaftlichen Doktorarbeit, die sich idealerweise extrem differenziert und mit großen erkenntnistheoretischen Zweifeln einem Thema widmet. Boolean KorektZitiert="false";
Die Methode, die man in einer wissenschaftlichen Arbeit wählt, repräsentiert Zweifel. Um es für einige Honks noch mal zu erklären: es gibt nicht nur die Empirie im naturwissenschaftlichen Sinne, wie sie Sozialwissenschaftler (nicht Soziologen) als das einzig wahre behaupten. Wissen wird in den Geisteswissenschaften hauptsächlich durch die Transparenz des Vorgehens und nicht durch Zahlen produziert. Die völlige Offenheit, wie man zu seinen Schlüssen kommt und dass jede Behauptung - auch die vom eigenen Doktorvater - einer Erklärung bedarf, lässt manchen Jung-Wissenschaftler und -Philosophen verzweifeln. Deshalb flüchten sich viele auch in Laborsituationen oder grenzen ihren Untersuchungsgegenstand so weit ein, dass das Vorhaben händelbar bleibt. Daten zu produzieren und diese als Wahrheitsdesiderat zu betrachten, ist hierbei der billigste Weg; zu der Aussage zu stehen, dass Wissenschaft nicht aus richtig/falsch-Operationen besteht, Luhmann dich mal kreuzweise an deinem radikalkonstruktivistischen Arsch lecken kann, alle bisherigen Foucault-Deutungen ihn immer noch nicht in seinem französischen Kontext betrachten und wertlos sind, die Gesellschaft nicht aus Regelmäßigkeiten besteht, die man messen kann, sondern aus ungenutzten Potenzialen, die nur experimentell erschlossen werden können, dir selbst anthropologische Konstanten als zu fiktiv und als Genderfaschismus erscheinen, deine Doktormutter/Doktorvater ein IdiotIn und mit dem Kopf in den 80er Jahren hängengeblieben ist und dann trotzdem eine Operationalisierung deiner Doktorarbeit hinzubekommen und ein Vorgehen zu entwickeln und plausibel zu machen, ist der schwerere Weg. (Waren jetzt nur spontane Beispiele geht sicher auch besser.. aber mein Kopf kann gerade nicht mehr)
Die Qualität der Sorgfalt steckt also nicht in der Formalie des richtigen Zitats. Das 'Wie' der Wissensproduktion ist nicht in Anführungszeichen zu messen. Das Wie ist kein dichotomisches, digitales 'wahr' oder 'falsch'. Wir werden vieles wiederholen und wiederverwenden in der Wissenschaft. Doch wer es unkritisch Wort für Wort kopiert und heimlich übernimmt, ist soweiso ein Pimpf in seiner Zunft, denn ein ernsthafter Geist hat eine eigene Haltung zu den Zitierten und macht dies öffentlich. Oder anders gesagt: Das richtige Zitieren macht eine Arbeit nicht gut.
Zeit: Dichotomieideologisch
Zustand: Man wird mit dem Alter schneller betrunken (5 Bier)
Anlass: Die Geisteswissenschaft bewertet von Laien
DISKURS: Kant zu Moral, Natur und Freiheit
vor 4 Tagen
Verehrter Felipe,
AntwortenLöschenim Prinzip stimme ich dem Großteil Deiner Ausführungen zu. Die Behauptung allerdings, " Empirie im naturwissenschaftlichen Sinne" würde von "Sozialwissenschaftler[n] (nicht Soziologen) als das einzig wahre[sic] behaupte[t]" werden ist leider totaler Unsinn. Diese Auffassung wird spätestens seit 1950 international von niemandem mehr vertreten, und auch in keiner (mir bekannten) Sozialwissenschaft. Es gibt darüber hinaus dezidiert "sozialwissenschaftliche Empirie" (die gerade in Abgrenzung zur NW entwickelt wurde) und auch da sehr unterschiedliche Spielarten, die man kaum so pauschal kritisieren kann, wie du es tust. Diese Spielarten zeichnen sich zudem gerade dadurch aus, dass sie das WIE der Wissensproduktion intersubjektiv transparent und zum Thema der Reflektion und Kritik machen, genau wie es Dein Artikel fordert. Auch dies kann man sicher auf die eine oder andere Weise je nach Spielart kritisieren. Aber dazu müsste man sich mit dem, was man kritisiert auch nur annäherend befasst haben. Und der zitierte Satz zeigt leider dsbzgl. nur blanke Unkenntnis...
Dennoch, wie gesagt, hast Du mit der Kritik am Diskurs um Guttenberg-Gate et al. absolut recht!
MFG,
Steffen
Danke für den Einspruch.
AntwortenLöschenDas hiesige Traktat mag seine unfairen Passagen haben. Ich stehe aber weiter dazu, dass die Gesellschaftswissenschaften in der Mitte des letzten Jahrhunderts den Szientismus ertragen mussten und ihm in Forschungslegitimation und Vorhaben dann teilweise auch gefolgt sind; und dass dieses Denken im allgemeinen Interdiskurs weiterhin stabil ist. Mein Beispiel: Die statistische Bewertung von 'Qualität einer Doktorarbeit' bleibt für mich hier eins der krudesten Phänomene - ob nun damals betrunken gereizt oder im Moment nicht.
Ich bin mir sicher, dass die aktuelle Methodik - so wie von Dir beschrieben - viel reifer ist als von mir verkürzt. Wäre ja auch irgendwie sehr komisch, wenn nicht. Leider ist die 'Empirie' als Begriff so extrem von einer Verdatungsidee vereinnahmt, dass man dagegen polemisieren darf und gelegentlich auch sollte. Meine Meinung. Empirie kann, muss aber keine Zahl oder Statistik sein. Ich bringe dies gerne jedem mit Herzblut bei. Eine Luxusposition: ich weiß. Trotzdem wertvoll.
[ Im englischen ist die Differenzierung zwischen "Sociology" und "Social Science" wohl etwas gebräuchlicher als in Deutschland; aber heutzutage - im Sinne der Reife glücklicherweise - nicht trennscharf. Rein historisch gesehen kann diese Unterscheidung eine Entwicklung brauchbar ansprechen. ]