Kennt ihr das, wenn man nicht prokrastiniert und trotzdem nichts zuende bekommt? Liegt meistens an zu vielen Projekten. Nein: nicht nur die eine Idee, die ihr hattet als ihr bekifft in der Pubertät über eine eigene Frisbee-Liga nachgedacht habt.
Ich meine die vielen Ideen, die konzeptfähig sind, die vielleicht sogar ein Businessmodell besitzen, die irgendwo hinführen könnten. Oder solche Ideen, die ein neues Spielprinzip vorführen, das mit zwei drei Personen schon Spaß machen könnte, mit tausenden jedoch atemberaubend wäre. Oder Magazin-Formate, die staubige Museen beim Kuratieren in den Schatten stellen und moderne Sammlungen für die Nachwelt schaffen. Oder Experimente, die ein Wissen herstellen, das keiner bisherigen Erfahrung und der dazugehörigen monströsen Monografie ähnelt. Oder Kunst, die man an Wände der Zukunft hängen könnte, sollten wir noch Wände brauchen. Oder Themenbereiche, die so verkrustet sind, dass man mit zwei drei Transferaufgaben einen neuen Kondratieff-Zyklus starten könnte. Ich berühre alles immer mal wieder. Skizziere täglich.
Ich bin mir sicher, auch ihr findet euch irgendwo wieder. Wenn nicht, seid ihr wohl im letzten Jahrtausend hängengeblieben. Wer nicht mindestens eine große Idee am Tag hat, lebt nicht in unserer Zeit. Wer Ideen nicht wieder verwerfen kann, überlebt unsere Zeit nicht. Aber er ist zumindest immer kontaktfähig.
kann mit jedem spinnen. hat überall einen brauchbaren Hinweis. opfert sein Wissen dem nächstbesten Chef einer Ausbeuterfirma. erlegt jeden Morgen Scherzkekse auf Twitter. kommentiert das Feuilleton. pflegt bei der Freitag private Intellektuellen-Flamewars. betreibt nebenbei Crowdfunding für einen Scherzartikelhersteller. schafft es, eine Assoziation zwischen Finanzkrise und der Geschäftsidee seines Banknachbarn im Billig-Chinarestaurant herzustellen. hat eine eigene Meinung zum republikanischen Vorwahlkampf. geht als Kenner auf jedes zweite Techno-Festivals. Ist Streetart-Experte für Rio de Janeiro. Ist Szenemodell für irgendeinen Berliner In-Kiez. Ist Foursquare-Major bei seinem Dönermann. Schmeichelt der hässlichen Neue-Social-Media-Fratzen-Brut auf Googleplus. Schreibt seinen Xing-Kontakten Weihnachtspostkarten. Ist per whatsapp Immer-Reaktor. usw. usf. etc. und so Würg.
Hat aber keine Idee mehr. außer sich missbrauchen zu lassen von dem zufälligen Alltag der Hypermoderne. die sie/ ihn und ihr/ sein Potenzial auffrisst. Sie/ Er handelt nicht mehr selbst, weil sie/ er so viel zu tun hat. Deshalb ist es eine Schlüsselqualifikation der späten Modern, Projekte auch wieder zu beenden. Es wächst uns alles ans Herz. Wirklich alles. Jeder Scheiß. Wie viele Serien habt ihr anfangs für blöde bis bescheuert gehalten und dann doch geguckt? Es geht darum, Menschen Zeit zu widmen. Nicht Medienmaschinen. Projekte sind das Menschlichste, was die alte Moderne zu bieten hat: der Versuch, etwas herzustellen, was in dieser Welt noch nicht ist. Zu verändern. Zu unternehmen.
Ich persönlich fange pragmatisch an, aufzuräumen. 3 Seiten mussten schon sterben. Viele andere Konzepte und Ideen wurden nach verhaltenem Feedback der Pseudohandelnden und Überforderten einfach abgelegt. Schade aber gesund. Bei so vielen Ideen brauche ich immer mehr als eine Person, die dran glaubt. Man verliebt sich in so viel, doch ohne Support lohnt sich für mich nichts mehr. Ich bin hier inzwischen hypersozial und sensibel fatalistisch.
______
Dies ist übrigens das Jubiläumsposting in diesem Blog. 100 Beiträge. Undankbare Beiträge. Anlass für eine kurze Abrechnung nach knapp 2 Jahren Drunken News. Ich biete hier meine Schwäche an. Kontrollverlust. Ich gebe mich hier angreifbar. betrunken. Eigentlich Anlass für viel Belustigung. Inspiration gibt es auch immer. Möglichkeiten für Aufregung ebenfalls. Es kostet viel Überwindung, übermüdet spät in der Nacht noch zu schreiben. Ich mache das nicht mehr gerne. Ich habe immer seltener Lust, von Desinteresse Zeit fressen zu lassen. Zu warten, bis jemand zwischen zwei Alltägen zufällig Zeit hat. Immer der Verständnisvolle zu sein. Jedem eine zwölfte Chance zu geben, für das Projekt eines Freundes ein Mal im Leben irgendwo ein gutes Wort einzulegen oder auch nur Feedback zu geben. Zu viel verlangt. Ich kann so vieles in dieser Welt nicht mehr ernst nehmen. Hier schließt sich zufällig der Kreis zum obigen Drunken News Beitrag.
Wie lange bleibe ich noch der verlässliche, standhafte Part auf Kredit? Wie lange lasse ich die Menschen noch bei mir Anschreiben? Fühle mich manchmal wie ein Bierdeckel in einer Eckkneipe. Betrunken wie ich bin, kann ich es ja mal sagen: Geduld mit Menschen ist mein Leben; aber nicht, weil ich mir das ausgesucht habe. Ich reduziere jetzt die Bierdeckel genauso, wie ich Projekte töte. Mit Schuldenerlass. Macht was draus, ihr Drittweltländer der Projektweltmoderne. Aber kommt bitte nicht wieder, und inspiriert euch bitte irgendwo gegen Geld: das ist abstrakt und unverbindlicher. Punktuelle Faszination ist Mainstream und keine Basis für mein Interesse an Menschen mehr. Ich beende also die Geduld als Projekt: Hurray! Neue Menschen gibt es dann am nächsten Kiosk.
Zeit: 100 Mal Lebenszeit
Zustand: Bier im falschen Hals und erschöpft.
Anlass: Jubiläum, und alle so: Yeah!
DISKURS: Kant zu Moral, Natur und Freiheit
vor 4 Tagen
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Vielleicht hilft es ja dem ein oder anderen kritischen Leser in der Auseinandersetzung 'back to their own track' zu kommen. Man beachte hierbei, dass der Kontrollverlust Teil des hiesiegen Konzepts ist. Wir geben uns also zwangsläufig viel Mühe, Kommentare zu provozieren: so hat möglicherweise jeder was von den Drogen! Welcome!