Freitag, 25. November 2011

Großstadtsterben erwünscht

Habe mir gerade wieder etwas Feierabendbier gegönnt und blicke auf Berichte von tollen Großstädten in einem deutsch-französischen Kultursender. Ist das Leben nicht schön? dort. oder hier bei mir. oder bei euch. Ja. Doch Gonzo will euch natürlich auf einen neuen Pfad bringen, eine Fährte, die junggebliebene Geister seit Jahrzehnten nicht wahr haben wollen. Später heißt es dann wieder, das hätte man immer schon gewusst. wenn einer eurer Lieblingsintellektuellen seine Monografie zum Thema veröffentlicht, wird es Gonzo nie gegeben haben. Gleichzeitig rate ich niemandem, mich auf Podiumsdiskussionen einzuladen, denn nur die Aufrechten und Denkenden würden überleben. und davon gibt es wenige.

Zurück zum Denkanstoß für eure spektakelgeleiteten Köpfe. Warum glaubt ihr Bauern eigentlich, dass ihr ein 'Recht auf Stadt' habt? Auf ihre Entertainmentverdichtung, ihr urbanes Schaufenstertheater, ihre Versorgungsinfrastruktur, ihre Partys, ihre exotische Erregungen, die nicht eurer Cousine ähneln? Für wie hochgeboren haltet ihr aufregungskonsumentarischen Jungzweibeiner euch eigentlich, dass ihr glaubt, all dies würde gerade euch zustehen? Ist es nicht sehr narzistisch, sich selbst zum Hofstaat der Moderne zu zählen, für sich selbst den Platz und die Posen im räumlich begrenzten Theater des Zentrums zu reservieren. All diese 'ich will für mich'-Typen, die in jugendlicher Arroganz meinen, gerade sie hätten es verdient, die Städter zu sein, die Stadt zu konsumieren, zuzuziehen.

Kurze Nachhilfe: Der Begriff 'Recht auf Stadt' ("droit à la ville", z.B: Henri Lefebvre 1968) kommt aus den 60er Jahren und bezog sich auf eine spezielle Art der Gentrifizierung in Paris, die Hand in Hand mit einer Stadtplanungsideologie (Charta von Athen, 1933) einher ging, die effektiv reine Arbeiterwohnviertel am Stadtrand plante. Bei 'Recht auf Stadt' ging es somit um Vertreibung und Ausschluss der Arbeiterklasse aus dem gesellschaftlichen Leben, das im zentralistischen Frankreich nun mal hauptsächlich die Stadt Paris als Austragungsort kannte. Die Stadt war hierbei nie ein Konsum-Aspekt, sondern eine Partizipationsidee, ein Raum, dessen aktive Mitgestaltung als essentiell für den ganzen Staat angesehen wurde, eine ideale Mikroebene, die eine gesunde Makroebene erst möglich macht. Und heute glauben 18-jährige Tussis und Hipster-Schönlinge, das Leben hätte ihnen als Minimum versprochen, im Schanzenviertel in Hamburg oder sonstwo in "Szenevierteln" zu wohnen. Ich erkenne da Unterschiede...

Die Stadt ist eine Anmaßung. Wer meint, dass an einem Ort soviel Lebensluxus akkumuliert werden kann, ohne, dass an einem anderen Ort Zuliefer-Armut entsteht, kann sich noch mal mit den Gesetzen der Thermodynamik auseinandersetzen. Wenn wir aus dieser Welt soviel Geld abzweigen können, dass wir uns eine Wohnung im Zentrum leisten und auch noch selbstverliebt beiläufig Luxusgüter shoppen, muss global irgendein Ungleichgewicht existieren, das dies möglich macht. Die Stadt ist - in der Wissenschaft relativ unbestritten - seit je her ein Motor der Akkumulation, eine Zentralisierung von Ressourcen. Die Moloche in aller Welt wachsen und wachsen mit riesigen Zuwanderströmen. Auch wenn diese Menschen meist wirtschaftliches Überleben suchen und wir nur selbstherrlich kulturelle Vielfalt, so ist die Bewegung doch eine ähnliche.

All dies ist der Grund, warum ich immer öfter den ekeligen Stolz der Städter - ich bin immer einer gewesen - als hässliche Haltung betrachte. Ein Spanier, der stolz sein Leben in Barcelona liebt, verschweigt anderen gleichzeitig ein Privileg. Gleiches gilt für Pariser, Londoner, Berliner usw.. Sie stellen unsere Welt wie einen billigen, barrierefreien Supermarkt der lebensästhetischen Räume vor, in dem sich nur Idioten, Mentalitätsbanausen gar gegen ein Leben in Barcelona entschieden haben. Sie wollen nicht wie damals 68 diese Welt, unsere Städte verbessern, sondern fliehen vor jeder staatsbürgerlichen Verantwortung in den kaputten Stadträumen, aus denen sie eigentlich kommen. Wieviele frustrierte Engländer, Franzosen, Spanier und Italiener gibt es inzwischen im Berliner Partyexil, weil sie ihr Heimatland extrem ankotzt? Das einzige, was sie konstruktiv zu dieser Welt beitragen, sind ihre aufgehübschten Körper, die wir ficken wollen.

Mich interessiert Berlin und seine Szene nicht, wenn gleichzeitig Italien seit Jahrzehnten vor die Hunde geht und die dortige Mafia europäischen Atommüll vor der somalischen Küste entsorgt, mit dem wir vorher unpolitischen, selbstsüchtigen Südländern ihre Stadtwohnungen im kalten Berliner Winter auf Heimattemperatur heizen. Mich interessiert hier die ernstgemeinte Überlegung, ob in Zeiten des Internets die kulturelle Stadt, das virtuelle Urbane nicht längst in dem Dorf ist, aus dem Du kommst. Wäre es nicht klüger, die Städte endlich zu verlassen, die räumliche Konzentration mit allen ihren negativen Seiten aufzugeben. Lassen wir dem Kapital endlich seine Einöde, und gestalten die Ränder, das Land, damit sie dieses im Zuge der Gentrifizierung nicht auch noch in eine hässliche französische Vorstadt verwandeln. Denn dieses ist als Entwicklung logisch absehbar, wenn die Zentren reich bevölkert sind. wir können die Immobilienspekulation im Zentrum immer nur verzögern, nie endgültig aufhalten. Bei den Rändern sind wir ihnen vielleicht voraus und können noch gestalten und wohnen per wunderbarem Internet doch in der gleichen Stadt.

Das meine spätnächtliche, launische Meinung zu stolzen Städtern, die in 5 bis 10 Jahren auch die eure sein wird.
Das Internet ermöglicht uns urbanes Leben. Alles andere sind Konsum, Eitelkeit und Vorstadien des Geschlechtsverkehrs. Alles eigentlich nicht so wichtig.
Euer Felipe.

PS.: ich sprach von "Vorstadien" ;)

Zeit: Poststädtisch
Zustand: Bier ist alle. Text war zu lang
Anlass: Barcelona-Lover preisen sich selbst auf Arte


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